Wortlaut der Rede von DLV-Ehrenpräsident Theo Rous in Rüsselsheim am 21.10.05
"Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod."
So lautet der Titel des Bestsellers von Bastian Sick über Phänomen unserer Sprache mit ihren Besonderheiten und Attentaten auf Grammatik und Rechtschreibung, aber auch ihren originellen Leckerbissen und regionalen Feinheiten. Was hat das mit Dieter Massin aus Ahlen in Westfalen zu tun? Nun, wer sich seit Jahren mit dem Westfalen als solchem befasst, findet hinreichend Gelegenheiten, die literarische Qualität der Sprache dieses Menschenschlages zu bewundern, von Anette v.Droste-Hülshoff bis Jürgen von Manger.
Das gilt auch für die sprachlichen Produkte des westfälischen Sports. Sie entbehren nicht einer gewissen zupackenden Exklusivität. Wenn es notwendig ist, kann der Westfale mit seiner Sprache vernichtend zuschlagen. Nachdem aus gegebenem Anlass bei der Umtaufe des Gelsenkirchener Parkstadions der Ehrenpräsident des Deutschen Fußballbundes Egidius Braun an den Westfälischen Fußball - und Leichtathletikverband appelliert hatte, auch mal Frauen als Patroninen für ein Stadion zu wählen, stand mit der geplanten Namensgebung ein tödliches Attentat auf den Genitiv im Raum: Es sollte heißen: "Ernst-Kuzorra-sein-Frau-ihr -Stadion". Man muss dem Verband aber zugute halten, dass es nicht zum finalen Vollzug gekommen ist. Um diesem grammatikalischen Totschlag den Boden zu entziehen, hat Karl-Heinz Zündorf mit seinem weltweit bekannten ästhetischen Sprachgefühl das Stadion vorsichtshalber abreißen lassen.
Dennoch: Die Mörder sind unter uns. Inzwischen ist es demselben Verband gelungen, mit dem ansonsten doch recht harmlosen Nominativ den ebenso unschuldigen Akkusativ zu meucheln. Als Überschrift einer Verbandsmitteilung, gefunden in meiner Suchmaschine "Google", steht die Schlagzeile des Jahres zu lesen: "Dieter Massin ist einer der fünf Leichtathleten, die der Ehrenschild des DLV erhalten". Fettgedruckt!
Nun könnte man befürchten, dass Dieter sagt: Dies ist zuviel für mein Sprachgefühl, und lehnt deswegen diesen Preis ab. Ich glaube das nicht, nicht aus diesem Grund. Wer sein Leben als Lehrer an einer Hauptschule in einer vom Bergbau und Türken heimgesuchten Stadt verbracht hat, ist bis an sein Lebensende gegenüber sprachlichen Schockerlebnissen immunisiert. Im Gegenteil: Er selbst hat literarische Texte über das Leben in Ahlen produziert und eben diese Sprache seiner Heimat in heiteren Geschichten kultiviert. So weit das möglich ist.
Ich selber kann das voll und ganz nachvollziehen. Denn ich stamme aus Oberhausen, einem Ort im Ruhrgebiet, in dem ähnlich wie in Dieters Heimat die Sprache von Kumpel Anton zum Kultobjekt hochsterilsiert (richtig?) wurde. Ich habe mich z.B. nie gescheut, gemeinsam mit meinen Freunde aus gegebenen Anlässen die inoffizielle Nationalhymne des Ruhrgebiets zu intonieren, in der der Genitiv nicht eigentlich ermordet, so doch genial modifiziert wird:
" Wir versaufen unser Oma sein klein Häusken, und die 1.und die 2.Hypothek." Wie würde so ein Text im Hochdeutsch klingen: " Die Erbengemeinschaft - sagen wir Rous - bietet zur Finanzierung exzessiven Alkoholkonsums das Anwesen ihrer Großmutter Klothilde zum Verkauf feil, nicht ohne vorher diese Immobilie durch Kredite erheblich belastet zu haben."
Ein solcher Satz ist im Ruhrgebiet nicht vermittelbar.
Nun ist dies nicht die einzige Nachricht, die ich Google entnommen habe. Es gibt einige hunderttausend (!) Eintragungen mit dem Namen Massin. Meist sind es Franzosen (Masseng: Die Aussprache liegt einem ja auf der Zunge). Da gibt es eine berühmte Weinhändlersippe, es gibt weltbekannte Anthropologen, Historiker, Maschinenbauer, Tänzer und Tänzerinnen, Schriftsteller, Pianisten, alle von hohem Rang, und es gibt natürlich Auszüge aus Meldungen über Dieter, der wiederum gar nicht aus Frankreich nach Westfalen gekommen ist, jedoch auf dem recht umständlichen Umweg über Tschechien, aber Hugenotte bleibt Hugenotte, ob in Toulouse, Teschen, Ahlen, Oberhausen oder Alpen.
Kommen wir zurück zur Verleihung des Ehrenschilds. Bei meinen Recherchen habe ich einen ganz anderen Satz gefunden, zur Ehrenrettung sei's gesagt, der ebenfalls aus den Archivbeständen westfälischer Verbandsliteratur stammt, der mich eigentlich aller weiteren Erklärungen, Begründungen, Belobungen enthebt. Der lautet: "Dieter Massin ist die personifizierte Leichtathletik".
Liebe Freunde, wer sich die Tätigkeiten von Dieter Massin im Sport und in der Leichtathletik ansieht, der muss sagen: Dieser Satz trifft ins Schwarze. Ich kenne keinen, der über ein so weites Spektrum an qualifiziertem Wissen in dem weiten Feld der Leichtathletik verfügt, aber auch Garant für dessen erfolgreiche Umsetzung von der Basis bis zur Spitze des Leichtathletikverbandes ist wie dieser Dieter Massin. Er hat in allen Bereichen des Sports gewirkt und dabei Optimales bewirkt: Er engagierte sich als Lehrer und stellvertretender Schulleiter in der Schule, im Schulsport, aber weit über den Sport und die Dienstpflichten hinaus, er war selber Athlet, war Motor im Verein, wirkte erfolgreich auf allen Ebenen des Sports, im Leistungs-, Wettkampf-, Breiten-, Freizeit- und Seniorensport, vor allem aber auch mit einer Fülle von Initiativen im Kinder- und Jugendsport, hat Veranstaltungen organisiert und Ahlen zu einem Begriff im Veranstaltungswesen gemacht, allein 20 Deutsche Meisterschaften in allen Klassen fanden dort statt, und hat dann von Ahlen aus den Rest von Deutschland erobert, mit Leitungsfunktionen in Westfalen, im DLV als Vizepräsident und Chef des Breiten, Freizeit- und Wettkampfsports, hat vor allem den Seniorensport zu ungeahnter Größe und Stärke geführt, und hat von da aus Europa und die Welt erobert: Präsident von EVAA, dem Europäischen Veteranenverbandes, Vertreter von EVAA im Weltverband, Europapräsident der Masters Sports Association, der Vereinigung aller Seniorensport betreibender Verbände in Europa, die heute hier tagt.
Kurzum: Dieter ist die personifizierte Leichtathletik, und wenn es den Ehrenschild nicht gäbe, dann hätte man ihn für Dieter erfinden müssen.
Nun kenne ich diesen unverwechselbaren und eigenwilligen Menschen, ein Westfale eben, und weiß, dass er eine grundsätzliche Einstellung pflegt, was die Verleihung von Orden angeht, nämlich die, dass er in typisch westfälischer Bescheidenheit gegen die Verleihung von Ordens- und Ehrenzeichen ist. Lieber Dieter, das kann nicht sein. Wer Orden ablehnt, ist viel eitler als der, der sie annimmt, weil er mit der Ablehnung weitaus mehr öffentliche Resonanz und Anerkennug erzielt, ob er will oder nicht, als mit der Annahme. Also: Dat gildet nicht, mein lieben Dieter, auch wenn es andere vormachen, z.B. die Hanseaten aus Bremen oder Hamburg, die sich so verhalten. Wenn Du immer noch Probleme haben solltest, dann empfehle ich Dir das Vorbild eines prominenten Hamburger, nämlich des Johannes Brahms. Der hat gesagt: Natürlich bin ich grundsätzlich gegen Orden, aber haben will sie schon. Das ist doch eine ganz einfache, pragmatische, lebensnahe und logische Philosophie.
Ich freue mich, dass ich Dir den DLV - Ehrenschild überreichen darf, nachdem Rüdiger Nickel und ich ihn vorher chemisch von Carl Diem gereinigt haben. Ich gratuliere Dir sehr herzlich, wünsche Dir, dass Du weiterhin auf den Gebieten tätig bist, die Du Dir aussuchst, wünsche und rate Dir aber auch, ein bisschen mehr vielleicht als bisher, das notwendige Maß an Gelassenheit, um die Klippen, die es auf den Weltmeeren Deiner Tätigkeiten gibt, zu umzuschiffen, ohne Schaden an Deiner Person, an Leib und Seele, zu nehmen. Expertus dico, ich spreche aus Erfahrung, der ich ja Dein Vater sein könnte, zumindest aber, wie Du immer so schön sagst, Dein Beichtvater.
Herzlichen Glückwunsch!